Artikel aus der FAZ vom 15.05.2018
Die Verwirrung ist groß. Deshalb soll eine einheitliche Darstellung aller Ansprüche her. Die Koalition unterstützt das. Den Prototyp könnte es schon bald geben.
pik. Frankfurt, 15. Mai. Die jüngste Umfrage der Fondsgesellschaft Fidelity International kommt einem wie bestellt vor. Bestellt von den Befürwortern einer einheitlichen Darstellung aller Rentenansprüche über alle drei Säulen der Altersvorsorge. Denn gefragt wurden 1000 Berufstätige in Deutschland, die sich dazu äußern sollten, wie gut sie sich derzeit über ihre Ansprüche informiert fühlen. 21 Prozent der Befragten hielten schon allein die Renteninformation der gesetzlichen Rentenversicherung für unverständlich. Nur 65 Prozent gaben an, mit diesen Daten ihre spätere Rente richtig einschätzen zu können. 55 Prozent hätten gern einen Zugang übers Internet zu einem System, das alle Einkünfte aus den drei Säulen (gesetzlich, betrieblich, privat) abbildet. Am wichtigsten sei eine verständliche Sprache, Beispielrechnungen dagegen finden nur zwei Drittel der Befragten wichtig.
Die Umfrage ist Wasser auf die Mühlen derer, die schon lange an einer Plattform arbeiten. Auch die Regierungsparteien fanden das in der letzten Legislaturperiode wichtig, auch wenn der Enthusiasmus zum Schluss etwas gewichen ist. Nun steht im Koalitionsvertrag: „Wir werden eine säulenübergreifende Renteninformation einführen.“ Der neue Berichterstatter der Unionsfraktion zum Thema Altersvorsorge, Carsten Brodesser (CDU), sagte der F.A.Z. am Dienstag: „Ich bin sehr dafür, das einzuführen, denn es besteht ein Interesse der Politik, dass möglichst viele Menschen vorsorgen.“ Eine solche Information sei eine gute Entscheidungsgrundlage. Schon mit den Daten der gesetzlichen Rentenversicherung könne nicht jeder Versicherte etwas anfangen. „Es könnte ein Indikator herauskommen, der verrät, ob man genug getan hat. Darauf sollte der Bürger gestoßen werden“, sagte Brodesser.
Hatte es in Altersvorsorgefragen in der Vergangenheit häufiger Dissens mit dem Koalitionspartner SPD gegeben, herrscht bei diesem Thema weitgehend Harmonie. „Viele verstehen nicht, was ihnen im Alter zusteht“, sagte Sarah Ryglewski, die in der Fraktion für finanziellen Verbraucherschutz zuständig ist. Abschreckend für die Transparenz seien in den vergangenen Jahren die Kundeninformationen von Versicherern (Standmitteilungen, Produktinformationsblätter) gewesen. „Damit es verständlich wird, müssen wir wohl mehr regulieren“, sagte sie. Verbraucher wollten zumindest einen Korridor ihrer Alterseinkünfte kennen. Eine einheitliche Renteninformation müsse einhergehen mit verständlicheren Standmitteilungen.
Als wahrscheinlicher Partner hat sich die Deutsche Renten Information ins Spiel gebracht. Diesem Verein zur Förderung der Transparenz in der Altersversorgung steht der Frankfurter Finanzprofessor Andreas Hackethal von der Goethe-Universität vor. Er kooperiert mit Vertretern von Banken, Versicherern, Fondsgesellschaften und der Technologiebranche sowie Wissenschaftlern. Im Jahr 2017 hat er eine Pilotstudie mit 10000 Teilnehmern durchgeführt. 70 Prozent gaben anfangs an, ihnen fehle eine Rentenübersicht und sie sparten zu wenig. Nachdem sie eine erste Version der Renteninformation gesehen haben, gaben knapp 60 Prozent an, besser informiert zu sein. Jeder Zweite wollte aufgrund der Ergebnisse aktiv werden.
„Die Teilnehmer erwarten Neutralität und einen hohen Grad an Automatisierung“, sagte Hackethal der F.A.Z. Einige Teilnehmer hätten schon nicht mehr weiter mitgemacht, als sie ihre individuellen Unterlagen holen mussten. Für den Finanzprofessor steht der Nutzen einer säulenübergreifenden Darstellung im Vordergrund. „Der Überblick fehlt. Muss man sich Informationen selbst zusammensuchen, ist die Fehleranfälligkeit hoch“, sagte er. Transparenz sei eine Voraussetzung dafür, Rentenplanung zu betreiben. Die errechneten Rentenlücken und Produktempfehlungen von Finanzdienstleistern seien häufig interessengeleitet. Die Renteninformation solle die Navigation erleichtern und wie eine Richtschnur wirken.
Mit den zehn Projektpartnern fand Anfang Mai in Frankfurt eine Auftaktveranstaltung statt, in der ein gemeinsamer Aktionsplan vereinbart wurde. Ziel ist es, bis spätestens Ende 2019 einen Prototypen vorzulegen, der es ermöglicht, eine Vorstellung von einer solchen Informationsplattform zu erhalten. Nur wenn alle Träger der drei Säulen zusammenarbeiteten, lasse sich eine sinnvolle Aufklärung der Verbraucher erreichen. Nur die Nutzer selbst sollten Zugriff auf ihre Daten haben. Die Plattform soll so programmiert werden, dass sich keine personenbezogenen Daten zentral speichern lassen. Auf eine Marktlösung habe man ein Vierteljahrhundert warten müssen. Gegenüber staatlichen Behörden seien viele Bürger skeptisch. „Wir müssen also irgendetwas in der Mitte schaffen mit einer hohen Standardisierung“, sagt Hackethal.
Große Bedenken gegen ein solches Vorhaben hatten in der Vergangenheit die Versicherungswirtschaft und die Arbeitsgemeinschaft betriebliche Altersversorgung. Beim Branchenverband GDV öffnet man sich aber im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Geschäftsmodelle. Die Interessenvertretung der Einrichtungen der Betriebspensionen dagegen warnt davor, sich von mehr Transparenz zu viel zu erwarten. Sie scheut sich auch, angesichts komplexer Daten für zukunftsgerichtete Aussagen haftbar gemacht zu werden.
Krohn, Philipp; Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 15.05.2018
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