In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. Juli 2014 erklären Hessens Finanzminister Dr. Thomas Schäfer und Professor Dr. Andreas Hackethal von der Goethe-Universität Frankfurt, welche Instrumente benötigt werden, damit Sparer fundiert und eigenverantwortlich Entscheidungen für Finanzprodukte und Anlagestrategien treffen können.
Bei der Anlageberatung müssen Kunde und Berater zusammenarbeiten, damit das Ergebnis für beide Seiten stimmt. Der Berater muss kompetent, die Systemunterstützung intelligent und die Produktauswahl ordentlich sein. Gleichzeitig muss der Beratungskunde die nötigen Informationen bereitstellen, ein Grundverständnis von Rendite und Risiko mitbringen und vor sinnvolle Beratungsempfehlungen auch umsetzen. Beide müssen schließlich das Ergebnis nachhalten und gegebenenfalls den Kurs anpassen. Anlegerschutz, der auf Anlegernutzen abzielt, muss daher drei Dimensionen berücksichtigen – Bringschuld der Finanzinstitution, Holschuld der Kunden und schließlich Transparenz beim Leistungsversprechen.
Der gesetzliche Anlegerschutz in Deutschland ist auf die erste Dimension ausgerichtet. Die europäischen Vorgaben unter dem Stichwort Mifid brachten 2007 einen Schub für den anbieterseitigen Anlegerschutz. Anlageberatung galt fortan als eigene Wertpapierdienstleistung und nicht mehr als bloße Nebenleistung. Die Banken müssen dem Anleger seitdem mehr Informationen zu Finanzinstrumenten, Anlagestrategie und Kosten zur Verfügung stellen und gleichzeitig die Vermögensverhältnisse und den Wissensstand ihrer Kunden abfragen. Verstöße werden als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße deklariert. Seit 2010 folgten weitere Verschärfungen. Es muss nun für jede Beratungssitzung ein Protokoll erstellt und dem Kunden ausgehändigt werden. Zudem muss der Privatanleger vor dem Kauf ein Produktinformationsblatt („Beipackzettel“) erhalten. Zudem wurde ein Mindestniveau an Beraterqualifikationen festgelegt und sämtliche Beschwerden über Berater werden bei der Bafin gesammelt.
Der Gesetzgeber hat also bereits vehement die Bringschuld der Banken eingefordert. Noch immer bleiben jedoch viele Kunden mit ihren Anlageergebnissen weit hinter den Möglichkeiten zurück. Forscher der Goethe-Universität haben mehrere hunderttausend Datenpunkte für Kunden verschiedenster Filialbanken und Online-Broker zusammengetragen und analysiert. Beratungskunden lassen genau wie Selbstentscheider im Schnitt rund vier Prozent Rendite pro Jahr auf der Straße liegen. Die Beratung schöpft ihr Potential zur Verminderung von Anlagefehlern also auch trotz der neuen Gesetze nicht aus. Bohrt man bei den Daten tiefer, so resultiert eine überraschende Erklärung: Auch wenn die Beratungsempfehlungen nachweislich hervorragend und im Kundeninteresse waren, kamen sie beim Kunden nicht an, weil die Kunden den Empfehlungen nicht gefolgt sind. Die Analogie zum Rat eines Arztes, dem der Patient nicht folgt – was laut WHO bei chronischen Erkrankungen in jedem zweiten Fall vorkommt – drängt sich auf. Das Dilemma der Beratungskunden: Sie sind zur Vermeidung teurer Anlegerfehler zwar auf Beratung angewiesen, sie können jedoch nicht den Nutzen der Beratung einschätzen. Das Problem dahinter: Kunden erhalten keine Informationen darüber, welche Gesamtrendite auf alle Anlagen verdient wurde, welche Kosten anfielen und wie riskant die Anlagen waren. Damit gibt es am Markt oder in den Medien auch keine belastbaren Vergleichstests zu Depotrenditen und –risiken. Im Ergebnis ist das Verhalten bei der Auswahl und Befolgung von Beratung ähnlich impulsiv und fehlerbehaftet wie bei der eigenständigen Geldanlage. Gute Beratung kommt wegen mangelnder Umsetzung selten beim Kunden an und setzt sich nicht marktweit durch.
Verpuffen damit die jüngsten gesetzlichen Vorschriften zum Anlegerschutz? Nicht notwendigerweise. Wenn ergänzend auf die anderen beiden Dimensionen des Anlegerschutzes gesetzt wird, nämlich auf die Eigenverantwortung der Anleger und die Transparenz beim Leistungsversprechen, dann kann Anlageberatung weit mehr für die Sparer bewirken. Nachfolgend seien drei konkrete Ansatzpunkte genannt:
Erstens benötigen Sparer ein Basiswissen zu Rendite und Risiko, um ihrem Berater eigenverantwortlich gegenüberzutreten und dessen Leistung einzuschätzen. Hier besteht Nachholbedarf. Einer der Autoren hat in einem exemplarischen Versuch das nötige Basiswissen auf dreißig Videominuten komprimiert. Das Ergebnis kann seit letztem Herbst unter faz.net abgerufen werden. Die Rückfragen und Kommentare auf die Videos zeigen deutlich die konkreten Hürden und Bedenken der Sparer auf, die es didaktisch geschickt anzugehen gilt. Hier sind Wissenschaft und Medien gefragt. Ohne jenes Basiswissen laufen fast alle Anlegerschutzmaßnahmen ins Leere.
Als Zweites muss der Informationsstand hinsichtlich der eigenen finanziellen Ausgangssituation verbessert werden. Kaum ein Sparer hat einen verlässlichen Überblick über das aktuelle und zukünftig zu erwartende Vermögen – geschweige denn über die Risiken. Ohne Überblick sind Anlageentscheidungen jedoch nur zufällig richtig. Welche Ansprüche bestehen bereits in den drei Säulen der Altersvorsorge? Wie riskant sind die Einkommensströme aus der eigenen Arbeitskraft? Wie viel und wie riskant kann gespart werden? Glücklicherweise eröffnet der technologische Fortschritt bei Banksystemen und mobilen Endgeräten interessante Lösungen. Einige Banken bieten ihren Kunden nun die Möglichkeit, Kontenbewegungen automatisch kategorisieren zu lassen und bei Überschreitung von Schwellenwerten benachrichtigt zu werden. In Skandinavien kann sich überdies schon jeder Bürger per Smartphone einen verständlichen Überblick über seine aktuellen Ansprüche aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge besorgen. CDU und CSU fordern eine solche säulenübergreifende Informationsplattform auch für Deutschland. Mit dem unabhängigen Verein Deutsche Renten Information e.V. wurden hierfür über die letzten Monate wichtige Grundlagen geschaffen.
Drittens brauchen Anleger aussagekräftige Hinweise, um gute von weniger guter Anlageberatung zu unterscheiden. Beratung wie aus dem Lehrbuch sorgt dafür, dass das tatsächliche Risiko der Finanzanlagen mit dem zuvor vereinbarten Zielrisiko übereinstimmt und dass auf die Risiken eine faire Rendite nach Kosten verdient wurde. Ein vielversprechendes Instrument für größere Transparenz bei der Beratungsqualität ist daher der Ausweis der tatsächlich erzielten Gesamtdepotrendite nach Kosten und des dafür eingegangenen Gesamtrisikos. Gemäß Stiftung Warentest (Heft 7/2013) bleiben diese Zahlen bisher im Dunkeln. Berater und Kunde sind also im Blindflug unterwegs. Für bestmögliche Vergleichbarkeit muss die Berechnungsweise der Zahlen standardisiert und der Ausweis leicht verständlich sein – am besten entlang einer einheitlichen Risikoskala. Gute Berater könnten dann konkret demonstrieren, dass Risiken im Einklang mit dem Kundenwunsch gesteuert wurden und langfristig eine faire Rendite nach Kosten erzielt wurde.
Unser Fazit ist, dass die jüngsten Gesetzesinitiativen zum Anlegerschutz zwar schwarze Schafe im Beratungsmarkt verdrängen, gleichzeitig jedoch den guten Beratern und ihren Kunden Zusatzkosten aufbürden. Damit die Finanzinstitute ihre Bringschuld einlösen können, ist auch die Holschuld der Sparer gefragt. Hierfür bedarf es neuer und cleverer Instrumente, die die Sparer in der Wahrnehmung von mehr Eigenverantwortung zielgerichtet unterstützen.
Download > Gastbeitrag in der FAZ vom 10. Juli 2014